Warum manche Menschen sich schlecht selbst einschätzen können und wie man ihnen helfen kann
Manche Menschen haben eine stark abweichendes Selbstbild, obwohl sich ihr Umfeld relativ einig ist und ein übereinstimmendes Fremdbild formulieren kann. Die Zusammenarbeit mit solchen Menschen ist oft schwierig. Wer kennt das nicht?
Stellt sich vielleicht die Frage, warum diese Menschen sich so schlecht selbst einschätzen können und was sie dagegen unternehmen können.
Actor-Observer Bias
Eine erste Erklärung bietet ein in der Psychologie gut untersuchter Effekt, der sogenannte Actor-Observer-Bias. Diese Verzerrung der Wahrnehmung beruht darauf, dass die handelnde Person (=actor) grundsätzlich sich selbst besser kennt als jeder andere sonst. Die Person erlebt sich in unterschiedlichsten Situationen und weiss sehr gut, dass sie sich abhängig von Rahmenbedingungen mal so und mal anders verhält. Wenn es uns selbst betrifft, dann neigen wir daher zu Erklärungen, die die Situation verantwortlich machen. Zum Beispiel glauben wir, dass wir unsere Zusage nicht einhalten konnten, weil z.B. die wirtschaftliche Situation sich unerwartet verschlechtert hat. Andere Menschen (=observer) neigen hingegen dazu, die Ursache für ein Verhalten lieber den relativ stabilen Eigenschaften einer Person zuzuschreiben, weil nicht so viele Beobachtungen existieren, die ein komplexeres Erklärungsmuster notwendig machen würden. Die „Observer“ würden das Verhalten dann viellleicht schlicht durch charakterliche Defizite erklären.
Im Resultat führt dieser Effekt häufig dazu, dass andere lieber uns und wir die Rahmenbedingungen verantwortlich machen. Da die Wahrheit bekanntlich häufig in der Mitte liegt, liegt die Lösung nicht selten in der Akzeptanz beider Sichtweisen.
Selbstschutz & Rechtfertigungen
Es ist eine mächtige menschliche Tendenz zu denken, dass wir besser sind als andere. Zum Beispiel geben in Studien rund 90% der Befragten an intelligenter zu sein, als der Durchschnitt. Misserfolge werden von uns häufig mit teils absurden Ausreden gerechtfertigt. Wir reagieren so, um unseren Selbstwert zu schützen. Leider führt dieser Reflex auch dazu, dass wir aus unseren Fehlern nicht das Maximale lernen und uns entsprechend verbessern.
Es gehört Mut dazu, sich der Realität zu stellen.
Blindheit für die Perspektive anderer
Um ein besseres Verständnis von sich selbst zu bekommen muss man die ehrliche Meinung anderer kennen. Nicht selten gibt es viele unterschiedliche Perspektiven, weil jeder Mensch auch unterschiedliche Erwartungen an uns hat. Uns selbst durch die Augen anderer zu sehen ist ein riesiges Geschenk.
Unternehmen führen daher für ihre Führungskräfte häufig ein sogenanntes 360° Feedback durch. Mit dieser Methode wird sehr systematisch die Wahrnehmung einer Person und die Auswirkung von deren Verhalten auf ihr Umfeld herausgearbeitet. Normalerweise werden beim 360° Feedback Vorgesetzte, Mitarbeiter, Kollegen und Kunden getrennt von einander und unter Zusicherung von Anonymität befragt. Ein 360° Feedback ist die vielleicht wirkungsvollste Methode um einer Person mit großer Selbst-Fremd-Bild-Differenz eine realistische Selbstwahrnehmung zu ermöglichen. Allerdings sind es oft gerade die Personen mit großer Differenz zwischen Selbst- und Fremdbild, die einem 360° Feedback aus dem Weg gehen.