Lernen wir aus kritischen 360° Feedback?
Daniele D’Amore ist Consultant bei der CREWS & CAPTAINS GmbH und spezialisiert auf Multi Rater Feedbacks und andere Befragungsinstrumente. Heute schreibt er für unser Blog und fasst die Erkenntnisse zweier US-Forscherinnen zur Frage zusammen, ob ein kritisches (360°) Feedback ein geeigneter Impuls bzw. eine geeignete Lernerfahrung ist, um die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen.
Preview: Die gängige Weisheit besagt, dass wir aus Misserfolgen lernen, aber neue Forschungen deuten darauf hin, dass dies oft den gegenteiligen Effekt hat: Wenn etwas schiefläuft, fühlen sich Menschen bedroht und schalten ab.
Möglicherweise lernen wir aus Fehlschlägen weniger als wir meinen
Als etablierter 360° Feedback-Anbieter weisen wir immer wieder darauf hin, dass ein 360° Feedback erst im Folgeprozess, nach dem Auswertungsgespräch, seine volle Wirksamkeit entfaltet. Unsere erfahrenen Coaches helfen dabei, das Feedback zu deuten und dessen Empfänger auf Bereiche aufmerksam zu machen, in denen Verbesserungen und Lernansätze möglich sind. Dabei stehen ganz neben Kritik auch Ressourcen im Vordergrund. Es ist wichtig, beim Gesprächspartner Offenheit für eine konstruktive Auseinandersetzung mit der Realität herbeizuführen. Doch nehmen die Empfänger eines 360° Feedbacks sich Kritik so zu Herzen, dass sie daraus lernen und tatsächlich auch ihr Verhalten verändern? Während ein weit verbreiteter Glaube darin besteht, dass wir aus Misserfolgen lernen und wachsen, sehen das zwei Forscherinnen aus den Vereinigten Staaten anders…
Studie zur Wirkung von Feedback
Lauren Eskreis-Winkler und Ayelet Fishbach haben in einer empirischen Studie festgestellt, dass wir unter bestimmten Voraussetzungen nicht aus kritischem Feedback lernen. Die genannte Studie bestand darin, dass die Teilnehmer einen besonders schweren Test absolvieren mussten. Zu jeder Frage gab es zwei Antwortmöglichkeiten. Eine Hälfte der Teilnehmer erhielt ein Feedback zu ihren korrekten Antworten (Erfolgsfeedback), während die andere Hälfte, ein Feedback zu den falschen Antworten (Fehlerfeedback) erhielt. Wie die Wissenschaftlerinnen feststellen mussten, haben die Teilnehmer, die Feedback zu ihren Erfolgen erhielten, im Wiederholungstest deutlich besser abgeschnitten als die Empfänger des Fehlerfeedbacks.
Jeder Mensch hat seine eigene Kritik-Schwelle
Dabei unterscheiden die Forscherinnen zwischen zwei Arten von Fehlern: Die Fehler, ohne ausschlaggebende Konsequenzen und die, die so gravierend sind, dass Sie nicht ignoriert werden können. Wenn es um persönliches Versagen geht, tendiert der Mensch laut Autorinnen in der Regel dazu, sein Versagen herunterzuspielen, um sein eigenes Ego zu schonen, außer es handelt sich um eine besonders motivierte Person, die etwas an sich ändern will. Es gibt laut Lauren Eskreis-Winkler also eine Schwelle, an der es möglich ist, dass eine Person aus Misserfolgen lernt, jedoch scheint es so zu sein, dass alltägliche Fehler nicht über diese Schwelle hinwegkommen.
Experten profitieren stärker von Fehler-Feedback als Anfänger
Die Teilnehmer haben im Durchschnitt weniger aus Fehlern, als aus Erfolgen gelernt. Dies galt jedoch nicht für jeden. Einige haben genau auf Misserfolge geachtete und daraus gelernt. Hier stellen die Forscherinnen fest, dass die Wirkung des Feedbacks auch von den Vorerfahrungen des Bewerteten abhängt. Experten profitierten stärker von Fehler-Feedback als Anfänger.
Bei der Frage, ob eine Person aus einem kritischen 360° Feedback lernt, muss genauer auf die Vorerfahrung der Person geachtete werden. Das klassische 360° Feedback von Crews & Captains zielt auf Führungskräfte, die häufig viel Erfahrung aufweisen und die bereits ausreichend Erfolge für sich verzeichnen konnten und folglich laut den Überlegungen von Lauren Eskreis-Winkler und Ayelet Fishbach offener auf ein kritisches Feedback reagieren. Diese (Führungs-)Experten sind somit eher veranlagt, die vorher beschriebene Schwelle zu überschreiten, bei der aus Misserfolg gelernt werden kann. Sie lernen also potenziell mehr aus einem fehlerorientiertem Feedback, was bei der Konzeption eines Multi Source Feedback-Instruments berücksichtigt werden muss.
Junge Talente brauchen eher ein ressourcenorientiertes Feedback
Anders ist es bei ressourcenorientierten TalentCoach. Hier sind es keine Experten die ein 90° Feedback erhalten, sondern junge Talente, die kurz vor dem Studium, der Ausbildung oder dem Berufseinstieg stehen. Anders als bei den Experten, wird hier auf ein ressourcenorientiertes Feedback geachtet. Sie lernen laut Lauren Eskreis-Winkler und Ayelet Fishbach also wohl mehr aus einer Erfolgskritik, die sich auf das Lob ihrer Feedbackgeber stützt.
Die Einstellung zu Fehlern macht den Unterschied
Lauren Eskreis-Winkler betont, dass die Ergebnisse ihrer Studie möglicherweise andere wären, falls die Teilnehmer keine Angst vor Fehler hätten. Die Getesteten waren US-Bürger und Briten. In anderen Regionen, wie zum Beispiel Japan, werden Kinder im Sinne einer gesunden Einstellung gegenüber Fehlern und Rückschlägen erzogen, denn nur ein offener und sanktionsfreier Umgang mit Fehlern erbringt den erhofften Erfolg. Somit bleibt noch zu untersuchen, ob neben den Vorerfahrungen der Person auch die erlebte Fehlerkultur einen Einfluss auf das Lernen aus Feedback hat.
***
Literatur:
Harvard Business Review (englisch): https://hbr.org/2020/05/maybe-failure-isnt-the-best-teacher
Harvard Business Manager (deutsch): Fehler ohne Folgen