Zeitversetzte videobasierte Interviews
Zeitversetzte videobasierte Interviews finde ich sehr interessant. Deswegen habe ich Sara Lindemann von der viasto GmbH gefragt, ob sie mich bei meinem Lehrauftrag im laufenden Wintersemester 2012/13 an der Uni Wuppertal (FB Psychologie, „Aktuelle Modelle und Verfahren in der Diagnostik“) als Gastreferentin unterstützen möchte und von diesem noch recht neuen und innovativen Ansatz berichtet. Dieses Wochenende fand der Blocktermin statt, von dem ich in diesem Beitrag ein paar Highlights berichten möchte.
Hintergrund: Die viasto Interview Suite ist angetreten, die interviewbasierte Personalauswahl, speziell die Vorauswahl von Bewerbern deutlich moderner und effizienter zu gestalten indem sie diese ins Internet verlagert. Unternehmen können mit diesem Tool ihren Bewerbern strukturiert und schriftlich Interviewfragen stellen, ohne dass hierfür eine personelle Ressource (ein Interviewer) eingesetzt werden muss. Die Bewerber antworten auf die ihnen gestellten Fragen, indem sie zeitlich flexibel am eigenen Rechner ihre Antwort per Webcam aufzeichnen. Diese Antworten werden dann z.B. von Vertretern der Fach- bzw. Personalabteilung hinsichtlich zuvor festgelegter Kriterien bewertet.
Unsere Fallstudie
Die Aufgabe für unsere Seminarteilnehmer war es, ein Interview für die Auswahl von Masterstudierenden (Fachrichtung Psychologie) für eine fiktive Hochschule zu konzipieren und im viasto-System zu erstellen. Zunächst haben wir versucht, geeignete Kriterien für zu prognostizierenden Studienerfolg zu finden. Dies ist unser Arbeitsergebnis:
- Intrinsische Motivation
- Offenheit & Neugierde
- Empathie / Fähigkeit zur Perspektivübernahme
- Kommunikationskompetenz
- Transferfähigkeit
- Stessresistenz / Belastbarkeit
Als nächstes haben wir in Kleingruppen geeignete Interviewfragen formuliert. Es folgt eine unvollständige Auswahl (mit Angabe zu den mit dieser Frage zu erfassenden Kriterien sowie den maximalen Zeiten zur Vorbereitung und Beantwortung.
Frage | Kriterien | Vorbereitung | Beantwortung |
Was versprechen Sie sich vom Masterstudium der Psychologie an der Universität Wuppertal? | Intrinsische Motivation, Komm.-Kompetenz, | 40 Sek. | max. 2 Min. |
Wählen Sei eine Theorie, die Sie im Grundstudium kennen gelernt haben, und beschreiben Sie, wie sie diese in der Praxis anwenden würden? | Transferfähigkeit, Komm.-Fähigkeit, Stressresistenz | 1 Min. | 3 Min. |
Bitte schildern Sie Ihr Vorgehen, wie Sie einer anderen Person in einer persönlich belastenden Situation schon einmal geholfen haben. | Empathie, Neugierde | max. 5 Min. | max. 2,5 Min. |
Wo sehen Sie denn Ihre persönlichen Schwächen, in denen Sie sich noch verbessern möchten, um Ihr Studium möglichst erfolgreich abzuschließen? | Offenheit, intrinsische Motivation | 40 Sek. | 90 Sek. |
Unser so erstelltes Interview würde folglich für den Bewerber höchstens ca. 16 Minuten Zeitaufwand bedeuten. Ein Evaluator würde weniger Zeit einplanen müssen. Im Prinzip reichen 9 Minuten, was wirklich zeiteffizient ist!
Es folgt der Test. Alle Seminarteilnehmer haben die Gelegenheit, das Interview-Tool ausgiebig am eigenen Leib zu erfahren und sind aufgefordert (kritische) Fragen zu stellen…
Fragen und Statements der Seminarteilnehmer
(in gänzlich ungeordneter Reihung)
a) Wieviele Kriterien können sinnvollerweise mit einem solchen Videointerview pro Videosequenz beobachtet werden?
Die Möglichkeit für den Bewerter, das Video mehrfach zu schauen, ließe prinzipiell eine vergleichsweise hohe Kriterienanzahl zu. Trotzdem werden von Sara nicht mehr als 3 Kriterien pro Frage empfohlen.
b) Können Fragen eingestellt werden, die die Bewerber schon vorab zur Verfügung gestellt bekommen?
Ja, im Sinne einer Arbeitsprobe. Z.B.: „Betrachten Sie bitte die Webseite der Firma XY und unterbreiten Sie Vorschläge, wie Sie die Seite optimieren würden.“ (zu Auswahl von Webdesignern)
c) Soll der Kandidat nach Aufzeichnung seines Videos entscheiden können, ob das Video verwendet werden kann?
Nein. Das wäre im normalen Interview auch nicht der Fall. Außerdem kann der Kandidat selbst gar nicht mit Sicherheit wissen, ob seine Antwort „gut“ oder „schlecht“ ist.
d) Kann man das Video von sich selbst ausschalten?
Nein.
e) Sollte der Bewerter das Videobild sehen, wenn der Bewerber bewertet wird?
Technisch wäre es durchaus möglich, das Bild auszuschalten, um die Optik als Fehlerquelle der Diagnostik auszuschalten. Die Frage ist nicht unbedingt allgemein zu bewerten.
f) „Eine unterschätzte Schwierigkeit ist die Formulierung präziser und eindeutiger Fragen.“
g) Wie häufig sollte jedes Kriterium im Rahmen des kompletten Interviews erfasst werden, damit die Messung hinreichend valide ist?
2-3 mal?
h) Einige Teilnehmerstimme zur User-Experience:
„Erstmal total ungewohnt und ein etwas stressig.“ „Ich glaube, dass dieses System viel Potenzial hat, weil es zeitlich und örtlich ungebunden ist.“ „DerErfolg steht und fällt mit der Qualität der Inhalte (spez. Fragen)“
i) „Eine tolle Abschlussfrage wäre zu fragen, wie Zufrieden der Bewerber mit seinen eigenen Antworten war.“
j) Ist das Videointerview in der Praxis der letzte Schritt in der Auswahl?
In der Regel nicht. Mit interessanten Kandidaten folgt meist ein persönliches Gespräch.
k) „Ich habe mich gefragt, wie es mit Feedback zum Interview aussieht. Man sieht ja gar keine Reaktionen seines des Gegenübers…“
l) Welche Kriterien sind aus Sicht von viasto besonders gut geeignet, um per Videointerview gemessen zu werden?
Kommunikationsfähigkeit, Fremdsprachenkompetenz, Fachfragen, Leistungsorientierung, Durchsetzungsstärke, Teamfähigkeit, und viele mehr!
m) „Ein echter Vorteil der Methode ist der, dass die Anwender gezwungen sind, strukturiert und kriterienorientiert vorzugehen.“
n) Ist die Methode auch für ältere Mitarbeiter einsetzbar?
Das gilt es noch durch Studien herauszufinden. Selbst dann, wenn es derlei Methodeneffekte gäbe, wäre es auch denkbar, dass diese in eine erwünschte Richtung gehen. Folglich ist die Entscheidung für oder gegen Interviews nicht allgemeingültig zu beantworten.
Mitdiskutieren!
Meine Mitschriften haben einen großen Nachteil. Sie sind unvollständig und geben bestimmt nicht die tollen Gedanken aller Anwesenden in der Detailtiefe wieder, wie es angemessen wäre. Alle Leser und insbesondere alle Seminarteilnehmer sind deswegen eingeladen, sich über die Kommentarfunktion zu beteiligen. Ich bin sicher, dass Sara gerne bereit ist, Fragen zu beantworten!
Danke für das Engagement aller!
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Bildquelle: OpenAI. (2024). Zeitversetztes videobasiertes Einstellungsinterview [Digital image created with DALL-E]. Retrieved from https://openai.com/