
Gamification an der Supermarktkasse – Zukunft unserer Arbeitswelt?
Über Gamificationansätze wurde in diesem Blog schon häufiger berichtet, u.a. hier und hier. Das Thema ist heiss, auchinsbesondere für Personalabteilungen! Nur, wissen das auch alle Personaler? Im folgenden Beitrag berichte ich, wie Gamification sich verhaltenswirksam auf eine relativ repetitive und stupide Tätigkeit, das Kassieren and der Supermarktkasse, auswirkt.
Fallbeispiel: Gamification an der Supermarktkasse
Target ist laut Wikipedia der zweitgrößte Discounteinzelhändler der USA nach Wal-Mart. Das Unternehmen gamifizierte die Kassensysteme in einigen ihrer Filialen in der Art, dass die Geschwindigkeit und Genauigkeit der Kassierer ermittelt und diesen unmittelbar nach jedem Kassiervorgang in Form eines visuellen Feedbacks zurückgemeldet wurde. Ein Mechanismus mit Tönen und grünen Lichtern wurde in die Kassensysteme eingebaut, um gute Arbeitsleistungen positiv zu verstärken.
Diese Form des Feedbacks soll den Kassierern angeblich ein ähnliches positives Gefühl vermitteln, wie es beim Erreichen eines neuen Levels oder dem Einstellen des aktuellen High-Scores in einem Computerspiel der Fall ist.
Ergebnisse der Gamifizierung
Diese Form der Gamifizierung…
- verbesserte die Effizienz der Kassierer,
- reduzierte die Wartezeit der Kunden und
- sorgte für eine höhere Mitarbeiterzufriedenheit.
Quellen:
- Seite 225 in Melvin B. Greer Jr. (2013). 21st Century Leadership. iUniverse.
- http://www.levelspro.com/targets-cashier-game-is-it-really-a-game
- http://www.levelspro.com/a-cashier-game-worth-playing
Diskussion der Ergebnisse
Im Prinzip bin ich ja ein großer Fan solcher Ansätze zur Einflussnahme auf menschliches Verhalten. Ich sehe zwar auch Gefahren, finde aber den Versuch etwas mehr spielerische Elemente und damit auch etwas mehr Spaß ins Arbeitsleben zu bringen durchaus löblich. Der eine oder andere Leser wird sich daran stören, dass Menschen auf diese Weise manipuliert werden und (gegen ihren Willen?) zu besseren Arbeitsleistungen motiviert werden. Vielleicht sieht jemand sogar die Gefahr, der Arbeitssucht Tür und Tor zu öffnen.
Ich denke, der Königsweg ist ein An-/Aus-Schalter. Soll doch jeder selbst bestimmen, wie er arbeiten möchte. Ich persönlich vermute, dass ein Feedback auch in dieser Form von vielen Menschen freiwillig gewählt werden würde.
Die oben berichteten Ergebnisse sind zudem stimmig mit Forschungsergebnissen zum “Partizipatives Produktivitätsmanagement” (PPM) bzw. zum “Productivity Measurement and Enhancement System” (ProMes), wie der Ansatz in den Vereinigten Staaten genannt wird. Was diese Theorie den anscheinend immer häufiger eingesetzten Gamification-Ansätzen allerdings voraus hat, ist der partizipative Aspekt. Warum werden nicht die Mitarbeiter stärker eingebunden und befragt, welches Feedback sie sich wünschen? Ein weiterer signifikanter Unterschied zu PPM bzw. ProMES ist der, dass Feedback zur Leistung von Arbeitsgruppen, nicht zur Leistung von Einzelpersonen gegeben wird. Ich frage mich, was bei Target mit Kassierern passiert, die konsequent weit unten auf der High-Score-Liste auftauchen.
Zweifelhafte Wissenschaftlichkeit
PPM/ProMES sind Theorien aus den 80er Jahren. Es gibt eine große Zahl qualitativ hochwertiger Studien zur Wirksamkeit und zum jeweiligen Einfluss einzelner Theorieelemente, wie zum Beispiel der Rolle der Partizipation bei der Implementierung. Eine wissenschaftliche Quelle zum oben berichteten Effekt der Gamifizierung der Supermaktkassen habe ich leider nicht finden können. Schade. So bleiben viele Fragen offen. Wie wirkt sich Gamification langfristig aus? Welche Frequenz für ein Feedback ist möglichst optimal? Existiert der beschriebene Effekt überhaupt oder handelt es sich um eine Variante des Hawthorne-Effektes?
Ich denke, ich werde in Zukunft noch mehr Aufmerksamkeit auf das Thema Gamification legen. Allerdings interessieren mich belastbare Forschungsergebnisse, die über Plausibilität und anekdotische Berichterstattung hinausgehen. An einem Austausch bin ich sehr interessiert und ich freue mich über jeden Hinweis in den Kommentaren unter diesem Artikel.
Foto: Eleventh Earl
Hi, danke für den Artikel. Das Beispiel ist leider ein komplettes No-GO für Gamification. Es ist auch nicht wirklich Gamification. Alles was Target gemacht hat, ist einfach nur ein audio-visuelles Feedback eingebaut zu haben.
Das ist an für sich schon gut, macht aber eine eintönige und repetitive Aufgabe deswegen nicht interessanter.
Natürlich ist das evtl. erst einmal für manche Kassierer ein nettes Spielzeug. Da solch ein Feedback ja schon einmal besser ist als gar keines. Aber auch diese ‚Aufregung‘ wird mit der Zeit abflauen.
Solch Feedback alleine ist auch nicht das Erfolgsgeheimnis von Spielen. Was wir an einem spielerischen Umfeld so lieben (Videospiele, Kartenspiele, Sport, Hobbys, Brettspiele, usw.) ist, die an uns gestellte Herausforderung mit der gleichzeitigen Aufforderung sie zu lösen. Und durch das Regelwerk werden wir ge-challenged. Nur wenn diese Aufgabe interessant und/oder fordernd genug ist werden wir es als wertvoll genug betrachten unsere Zeit zu investieren und somit auch engagiert uns auf die Lösung des Problems zu stürzen.
Und wehe die Lösung ist erbracht und keine neue Challenge wartet auf uns. Dann ist das Spiel ganz schnell langweilig. Und genau hier liegt ja auch die Herausforderung bei öden und repetitiven Aufgaben: Die Aufgabe kann nur bis zu einem gewissen Punkt mitwachsen. Wenn man das Kassensystem erst einmal drauf hat, weiß wie man mit den Kunden umzugehen hat und auch alle anderen weiteren Aufgaben eines Targetkassierers gelernt hat, wird man schnell an den Punkt der Eintönigkeit geraten.
An dieser Stelle aufgesetzte Systeme wie audio-visuelles Feedback und von mir aus auch Punkte und Badges schaffen hier evtl. eine kleine Ablenkung von der Eintönigkeit der Aktivität, verbessern diese aber nicht. Im Gegenteil: Ich schaffe ein System, dass die beteiligte Person darauf trainiert, sich auf das Resultat zu konzentrieren anstatt auf die Aufgabe selbst. Genau diese ist es aber, was langfristig zu einer noch geringeren Identifizierung mit der Aufgabe führt, diese noch unwichtiger erscheinen lässt und somit einen Grund mehr schafft, sich eine neue Arbeit zu suchen.
Genau diese Aussage: „Ich komm hier irgendwie nicht weiter, ich brauche eine neue Tätigkeit, in der ich mich weiterentwickeln kann.“, ist übrigens der zweit-häufigste Kündigungsgrund. Damit ist solch eine Lösung wohl eher nur ein Rauszögern des unvermeidlichen, als eine Lösung.
Ich liebe Gamification, wirklich. Aber wenn, dann bitte richtig. Damit meine ich vor allem eben diese Herausforderung um eine Aktivität zu designen, die auch wirklich mit der Tätigkeit selbst zu tun hat und nicht ein Spiel als Ablenkung zu kreieren.
Nichts desto trotz ist dieses System von Target für manche evtl. eine gefühlte Verbesserung. Das will ich nicht bestreiten. Nur darf man sich keine Wunder davon erwarten und es als Gamification zu bezeichnen halte ich für zu kurzgegriffen, auch wenn es Elemente davon beinhaltet. 🙂
Cheers, Roman
Hallo Roman,
gute Punkte, die du da machst. Ich selbst komme ja vom psychologischen Konzept des “Partizipativen Produktivitätsmanagements” und kann mir auch nicht so gut vorstellen, dass Targets Ansatz (langfristig) funktioniert.
Einem Satz von dir würde ich besonders zustimmen: “Da solch ein Feedback ja schon einmal besser ist als gar keines.” Aber ob das in diesem Fall reicht?
Vielleicht sehen wir hier ja auch nur eine weitere Variante des Hawthorne Effekts (http://de.wikipedia.org/wiki/Hawthorne-Effekt).
Gruß! Stephan
PS: Gibt es eine Minimal-Definition von Gamification, die du akzeptieren würdest?
Gute Frage….
Minimal Definition: „Reverse-engineering what makes games effective and graft it into a business environment.“
Aber das ist schon sehr minimal. 😉 Da die wenigsten wissen, was Spiele denn jetzt wirklich so effektiv macht, bringt einen das nicht unbedingt weiter.
Was ist damit:
„Gamification works by taking advantage of humans psychological predisposition to engage in gaming, e.g. like showing us a path to mastery, autonomy & relatedness, in a non-game context.“
Auf englisch bekomme ich das irgendwie besser hin. Auf deutsch hört es sich komisch an…
Hmm, ich kann beiden Definitionen etwas abgewinnen. Danke.