
Systemische Strukturaufstellung mit dem iPad
Beim heutigen Artikel handelt es sich um den Auftakt der angekündigten Reihe „Coaching und Moderation: Ankunft im digitalen Zeitalter“ in deren Verlauf ich speziell mobile Anwendungen/Apps für Smartphone und Tablet PC vorstellen und diskutieren möchte, die seit einiger Zeit in meinen persönlichen Werkzeugkoffer als Coach und Moderator gehören. Ich werde von meinen Erfahrungen berichten und hoffe auf kollegialen Austausch. Nutzen Sie die noch neue Technik? Dann hinterlassen Sie Ihre Meinung als Kommentar oder werden Sie Gastautor!
Im Coaching verwende ich relativ häufig die Methodik der systemischen Strukturaufstellung in Anlehnung an Matthias Varga von Kibéd und Insa Sparrer. Für die, die es nicht wissen: Unter „Aufstellungen“ versteht man die räumliche Abbildung eines „Systems“ mit seinen internen Strukturen, z.B. die Dynamik in einer Arbeitsgruppe. Die Beziehungen der beteiligten Personen untereinander werden durch Nähe vs. Distanz und Blickrichtung ausgedrückt (siehe Abbildung). Ich schätze an dieser Methode, dass Probleme prägnant auf den Punkt gebracht werden können. Konflikte werden für jedermann sichtbar und vielleicht sogar (be)greifbar. Perspektivwechsel werden einfacher. Erste Schritte in Richtung einer positiven Veränderung können gedanklich „erprobt“ werden, was die tatsächliche Verbesserung wahrscheinlicher macht.

Abbildung: Mit selbst erstellten „Stencils“ kann die App OminiGraffle für systemische Strukturaufstellungen verwendet werden.
Bislang waren ausschließlich kleine Holzfiguren unterschiedlicher Farbe und Größe mein Arbeitsmaterial. Seitdem ich jedoch oft ein iPad dabei habe, spare ich in dieser Hinsicht an Gepäck. Ich habe den Multitouchbildschirm des handlichen Tablet PCs als interessantes Medium für Aufstellungsarbeit für mich entdeckt. Auf dem Display lässt sich wunderbar spielerisch mit den Fingern die Konfiguration eines Systems aufstellen und verändern.
Ich habe längere Zeit nach einer geeigneten App gesucht und mich dann für OmniGraffle entschieden. Um mit dieser Software systemische Strukturaufstellungen sinnvoll visualisieren zu können, ist allerdings etwas Handarbeit nötig, denn es fehlen geeignete Symbole. OmniGraffle verwendet sogenannte „Stencils“, das sind Formen wie zum Beispiel Kreise, Rechtecke oder Dreiecke. Glücklicherweise können diese Standardelemente durch eigene ergänzt werden, so dass sich jeder Coach mit überschaubarem Aufwand seine persönliche Semantik aufbauen kann. Meine Stencils können hier heruntergeladen werden und dürfen frei verwendet werden.
In der Praxis liegt das iPad auf dem Tisch, sodass Coachee und Coach gemeinsam auf dem Bildschirm arbeiten können. Am rechten oberen Rand befindet sich die Auswahlbox für die unterschiedlichen Systemelemente. Der Coachee wählt sich ein Symbol und zieht es mit dem Finger in den Arbeitsbereich. Dort kann es sehr einfach immer wieder neu positioniert und die Distanz zu anderen Elementen kann verändert werden. Ferner können die Figuren mit zwei Fingern gedreht werden, so dass sich ihre Blickrichtung verändert. Neben meinen Symbolen verwende ich auch Pfeile, Blitze, Wolken sowie teilweise auch Textfelder. Besonders praktisch finde ich, dass sich Pfeilverbindungen zwischen zwei Elementen mitbewegen, wenn eines der beiden Objekte verschoben wird.
Mein Fazit: Das „Killerfeature“ ist für mich die quasi integrierte Dokumentation, denn jede Momentaufnahme der Aufstellung kann als PDF gespeichert oder per E-Mail verschickt werden. Im Verlauf eines Coachings kann somit immer wieder auf einen Zwischenschritt Bezug genommen und an exakt dieser Stelle erneut eingestiegen werden. Außerdem habe ich schon mit Gruppen gearbeitet und dafür die Visualisierung per Beamer an die Wand projiziert. Meine Erfahrungen sind durchweg positiv. Brüche im Coachingprozess, die auf das digitale Medium zurückzuführen wären, kann ich keine feststellen. Aus meiner Sicht eine klare Empfehlung zum Ausprobieren.
Foto: StartTheDay (CC BY-NC-ND 2.0)
Vielen lieben Dank für diese originelle und gleichermaßen praktische Idee! Ich kann mir gut vorstellen, dass diese Methode nicht zu „Brüchen“ im Prozess führt.
weitere Kommentare auch bei XING: http://www.xing.com/go/login/go/article/38807608/38919929?reagent=systemmail/newarticle&dpt=sysm&ttp=mail&plf=own&pid=notification-newarticles&xtr=lnk
Vielen Dank für diese Idee!
Da es aber im Aufstellungen sehr viel um Körperempfindungen und „spühren“ geht, ist mir unklar wie man diesen Teil abdeckt?
Hallo Herr Schlögl,
das ist richtig. Ich glaube Sie verstehen unter Aufstellungsarbeit die Arbeit mit konkreten Personen, die Sie dann zum Beispiel hinsichtlich ihrer körperlichen Empfindungen unmittelbar befragen und auf diesem Wege zu erhellenden Erkenntnissen kommen. Richtig? Ich sehe das durchaus wie Sie. Um Emotionen besser greifbar zu machen würde ich auch so vorgehen. Die von mir vorgestellte Methode verwende ich als Alternative zum „Familienbrett“. Aber auch dazu habe ich durchaus auch schon kritische Stimmen von Coaches gehört, die viel Wert auf die Haptik beim Aufstellend der Figuren legen.
VG
Stephan Holtmeier
Danke für die rasche Antwort.
Kann man diese SW auch auf einem normalen Apple PC bzw. MacBook laufen lassen?
Beim Download komme ich allerdings immer nur auf den Quellcode der Website?
Bitte um Info.
Danke
Hallo Herr Schlögl,
es gibt OmniGraffle auch für MAC (http://www.omnigroup.com/products/omnigraffle/). Die von mir erstellt Stencil-Datei für Strukturaufstellungen funktioniert auch damit. Allerdings: Für Aufstellungen funktioniert das am Computer/Notebook überhaupt nicht, weil das hin-und-her-schieben mit den Fingern dann entfällt.
Die Stencil-Datei, deren Quellcode Sie beim Download sehen ist eine einfache Textdate mit der Endung .gstencil, die sie mit rechter Maustaste (speichern unter…) auf Ihrem PC lokal speichern können. Oder sie laden Sie von hier: http://www.graffletopia.com/stencils/798
VG
Stephan Holtmeier
Dear sir!
I am a hypnotherapist (I also have some training in systemic configurations), and in the second or third session with each new client I make something like a social panorama of the clients‘ inner picture of the relations in the family he or she is raised in. I formerly used a blackboard for it, and your stencils are precisely what I was looking for to make the diagrams available digitally.
I wanted to thank you kindly for making them available freely to people like me.
Rik Bollen,
Netherlands.
Beim Systembrett ist das Einfühlen in die Figuren durch berühren sehr wichtig. Wenn man nun auf dem IPad ein Symbol mit dem Finger berührt kann ich mir schon vorstellen, das dies auch möglich ist. Wenn ich aber den Finger auf ein Symbol halte, wird dann nicht eine Aktion ausgeführt oder ein Menü geöffnet?
Hmm, ich habe auch überlegt, ob die andere Haptik vielleicht ein Nachteil ist. Ich bin mir da nicht so sicher. Es wäre mal interessant, wenn es dazu eine Masterarbeit gäbe…
Vor kurzem habe ich übrigens mal ein anderes Online-Tool für Aufstellungen ausprobiert. http://www.coachingspaces.com Dieses wird mit der Maus bedient und im Prinzip denke ich, dass es sehr gut funktioniert, auch weil es in 3D programmiert ist. Bei Gelegenheit werde ich dazu auch mal was in diesem Blog schreiben.
Nun zu Ihrer Frage: Ein Menü wird bei der von mir beschriebenen Variante nicht geöffnet. Es ist eine Art Drag-and-Drop-Mechanismus.
Kann mir gut vorstellen, dass es Anklang findet. Persönlich mag ich es zwar „haptischer“, jedoch glaube ich, dass es unter gewissen Umständen Sinn ergibt, dies digital zu handhaben.
Viele Grüße,
Gregor Wojtowicz
Noch ein neuer Anbieter:
SystemPad
http://systempad.wikullil.com/