Normverletzendes Verhalten im Kontext von Feedbackprozessen
Wie fühlt sich ein Mann, wenn ein anderer ihm die Tür aufhält? Dieser Frage gehen die beiden Forscherinnen Megan McCarty und Janice Kelly (2014) mit einer Feldstudie nach. Vielleicht können wir aus den Ergebnissen etwas für die Gestaltung von Feedbackprozessen in Unternehmen lernen?
Untersuchungsdesign
Männliche Komparsen warteten in der Nähe des Eingangs zur Uni auf Frauen (122) und Männer (99), die justament durch die Tür gehen wollen. In einer von zwei Versuchsbedingungen gingen die Forschungsassistenten mit den Zielpersonen/Versuchspersonen so durch die Tür, dass diese sich die Tür selber aufhalten mussten. In der zweiten Versuchsbedingung hielten die Komparsen den Zielpersonen die Tür auf, gingen einen Schritt zur Seite und ließen diese zuerst durch die Tür schreiten.
Einmal im Inneren angekommen, trafen die Zielpersonen auf eine weibliche Forschungsassistentin, die ihnen ein paar Fragen stellte, die auf den Dimensionen Selbstvertrauen und Selbstwirksamkeitsüberzeugung laden.
Studienergebnisse
Männer, denen die Tür aufgehalten worden war, hatten geringere Werte auf den Skalen für Selbstvertrauen und für Selbstwirksamkeit. Bei den Frauen konnte dieser Effekt nicht festgestellt werden, bei ihnen gab es keine Unterschiede.
McCarty and Kelly erklären diesen Effekt damit, dass das Aufhalten der Tür für die Männer eine sozial ungewöhnliche (normverletzende) Geste ist. Männer in dieser Versuchsbedingung fürchten, dass sie bedürftig bzw. verletzlich auf andere wirken. Dies kollidiert laut den beiden Autorinnen mit dem männlichen Selbstkonzept, nicht aber mit dem der Frauen.
Die Forscherinnen schließen aus ihren Ergebnissen, dass unerwartete Hilfe überraschend negative Konsequenzen haben kann. Natürlich darf man auch Kritik an dieser Studie üben. Zum Beispiel darf man fragen, ob es einen Einfluss auf die Ergebnisse gehabt hätte, wenn die Befragung der Versuchspersonen von einem männlichen Forschungsassistenten durchgeführt worden wäre. Oder, wie wäre der Effekt, wenn die türaufhaltende Person eine männliche, hierarchisch Untergebene gewesen wäre (siehe auch hier)?
Feedback als normverletzendes Verhalten?
Das Aufhalten einer Tür im oben beschriebenen experimentellen Setting ist im Prinzip nichts anderes als ungefragtes unterstützendes Verhalten, wie es es auch ungefragt gegebenes Feedback sein kann. Sicher ist der Transfer der beschriebenen Ergebnisse auf Feedbackprozesse nicht ohne weiteres zulässig, aber die folgende Hypothese würde ich durchaus formulieren.
Feedback von Mitarbeitern/Kollegen ist in vielen Unternehmenskulturen (noch) eine Normverletzung. Diese hat Auswirkungen auf Selbstvertrauen und Selbstwirksamkeitsüberzeugung der auf diese Weise „beschenkten“ Personen.
Da ein solides Selbstvertrauen und hohe Selbstwirksamkeitsüberzeugungen für erfolgreiche Persönlichkeitsentwicklung eine relevante Rolle spielen, müssen Feedbackprozesse diesen Effekt berücksichtigen. Mit institutionalisierten Instrumenten, wie einem 360° Feedback, werden Feedbackgeber „offiziell“ legitimiert hilfreich zu intervenieren. Vielleicht braucht es daher diese Form des Feedbacks, um erwünschte Resultate zu erzielen?
Literatur
Megan McCarty and Janice R. Kelly (2014). When door holding harms: gender and the consequences of non-normative help. Social Influence.