Selbstkonzept von Führungskräften verändern
Hintergrund dieses Postings ist die Erfahrung mehrerer unserer Kunden, dass Führungskräfte im eigenen Unternehmen (leider) eine tendenziell zu geringe Bereitschaft besitzen, sich selbstkritisch zu hinterfragen und das eigene Selbstbild gegebenenfalls in Richtung eines abweichenden Fremdbildes anzupassen. Dabei haben in der Vergangenheit so viele Untersuchungen durchaus belegt (exemplarisch: McCall, Lombardo & Morrison, 1988), was grundsätzlich auch plausibel erscheint: Manager, die sich Rückmeldung zur eigenen Person einholen und auf Basis dieses Feedbacks ihr eigenes Verhalten verändern, sind im Beruf erfolgreicher als andere. Es stellt sich nun die Frage, welche Ansatzpunkte es aus Wissenschaft und Forschung gibt, um die Veränderungsbereitschaft von Managern zu stärken.
Der eine oder andere Leser wird an dieser Stelle vielleicht denken, dass es niemandem wirklich vorgeworfen werden kann, wenn er das eigene (mehr oder minder mühsam erarbeitete) Selbstkonzept nicht ständig auf die Probe stellen möchte. Schließlich hilft es auch nicht, ein Heer verunsicherter Führungskräfte im Unternehmen zu haben. Der von uns hier gedanklich konstruierte Idealtypus eines Managers wird daher sich und sein Selbstkonzept auch nicht durch jedes Feedback unmittelbar in Frage stellen. Er ist aber eine Person, die offen für jede Rückmeldung ist und diese versucht zu verstehen, statt die Information aus Selbstschutz kategorisch abzulehnen.
Die hier beschriebenen Forschungsergebnisse beschränken sich selbstverständlich nicht auf Führungskräfte, denn das, was wir gemeinhin als Selbstbild bezeichnen, ist das Ergebnis eines lebenslangen Lernprozesses, den Entwicklungspsychologen bereits gründlich erforscht haben. Schon im Kleinkindalter spielt das Bindungsverhalten nachweislich eine wichtige Rolle und die vielfältigen Sozialisationsbedingungen tragen ihren Teil bei. Dass auch das Umfeld eine wichtige Einflussgröße ist, wurde dann später zum Beispiel unter dem Begriff Fischteicheffekt („big fish little pond effect“, Marsh, 20015) publiziert. Damit ist gemeint, dass ein leistungsschwaches Umfeld zu einem gesteigerten Fähigkeitskonzept beiträgt. Menschen in einem für sie leistungsstarken Umfeld haben hingehen häufig ein verringertes Fähigkeitsselbstkonzept, obwohl dies eventuell gar nicht der Realität entspricht und selbstverständlich auch nicht besonders hilfreich für die eigene Karriere ist.
Da es aber kaum möglich ist, die Vergangenheit zu ändern, bleibt uns nur der Blick in die Gegenwart und Zukunft. Wenden wir uns also der Kernfrage dieses Artikels zu. Welche Faktoren außerhalb der eigenen Persönlichkeitsstruktur begünstigen eine Veränderung des Selbstkonzeptes einer Führungskraft?
Positives und negatives Feedback
Bisherige Studien zur Akzeptanz von Feedback weisen darauf hin, dass sowohl positives als auch negatives Feedback grundsätzlich Akzeptanz finden kann, sofern einige Rahmenbedingungen stimmen. Die folgenden Einflussfaktoren basieren weitgehend auf Laura Gunkels (2014) Übersicht über Einflussfaktoren auf die Feedback-Akzeptanz (Seite 93).
Ein besonders wichtiger Faktor ist die Glaubwürdigkeit der Feedbackquelle.
Ein zweiter Faktor ist das Selbstvertrauen des Feedbackempfängers. Gemäß der Self-Enhancement Theorie fördert ein ausgeprägtes Selbstvertrauen die Akzeptanz für ein negatives Feedback. Allerdings sind die Befunde hier durchaus uneinheitlich und unter bestimmten Bedingungen scheinen auch Menschen mit geringem Selbstvertrauen große Akzeptanz für ein negatives Feedback aufzubringen, was mit der Prognose der Self-Consistency Theorie übereinstimmen würde. Wir denken, dass gerade bei besonders selbst-sicheren und selbst-unsicheren Menschen die Fähigkeiten des „Boten“ eine wichtige Rolle spielen.
Ein dritter wichtiger Faktor ist die Feedback-Botschaft selbst. Oft hilft es, wenn das Feedback (Fremdbild) grundsätzlich kongruent zum Selbstbild ist. Es kann aber auch kritisches und inkongruentes Feedback akzeptiert werden. Wichtig ist zudem, dass eine Rückmeldung nützlich, spezifisch und verständlich ist. Ferner sollte sie möglichst verhaltensnah, beschreibend, sachlich und mit Beispielen versehen sein.
Entwicklungsorientiertes Feedback schneidet übrigens grundsätzlich etwas besser ab als Beurteilungen, die eine weitere Bedeutung für die Karriere haben.
Was bedeutet dieses Wissen nun aber für die Fragestellung unserer Kunden? Wenn wir wissen, wie ein Feedback vor- und aufbereitet sein muss, bedeutet dies noch lange nicht, dass Führungskräfte sich freiwillig einem solchen aussetzen. Unsere Antwort auf diese Frage ist extrem einfach: Wer Führungskraft sein möchte, darf nicht die Wahl haben. Als Führungskraft ist man selbst das Produkt, für dessen Erfolg man ständig an der Optimierung arbeiten muss. Ein verpflichtendes und regelmäßig eingesetztes Feedbacksystem (z.B. 360° Feedback oder auch regelmäßige Feedbackrunden in Teams) gehören in jede Organisation – unabhängig von der Größe. Übrigens, wenn es vielleicht in der Vergangenheit kein Selbstläufer war, solche Instrumente im Unternehmen zu verankern, bedeutet dies lediglich, dass bei der Einführung Fehler gemacht wurden!
Eigenes Verhalten in der Öffentlichkeit
Dianne M. Tice hat 1992 einen interessanten Artikel veröffentlicht. Bei ihr geht es um einen weiteren Mechanismus, über den das Selbstkonzept von Menschen verändert werden kann. Anders als im vorherigen Abschnitt, in dem der „soziale Weg“ beschreiben wurde, also die Einflussnahme mithilfe von Feedback durch andere, steht also hier die Selbstwahrnehmung im Vordergrund. Dianne M. Tice schildert darüber hinaus den Einfluss von Prozessen der Selbstwahrnehmung des eigenen Verhaltens in der Öffentlichkeit und wie dieses auf das Selbstkonzept zurückwirkt.
Die Forschung in diesem Bereich zeigt, dass Menschen Selbstbilder leichter internalisieren, wenn sie diese auch überzeugend vermitteln können/müssen. Die Studie von Tice legt nah, dass sich Feedback dann besonders stark auf das Selbstkonzept auswirkt, wenn ein Verhalten für andere beobachtbar („öffentlich“) ausgeführt wird. In anderen Worten: Die Führungskräfte im Unternehmen müssen ihr Führungsverhalten und speziell Ihre persönliche Veränderungsbereitschaft möglichst als Teil einer öffentlichen Diskussion erleben. Die psychologische Notwendigkeit, die eigene Feedback- und Veränderungsaffinität ins Selbstbild einzubauen, steigt mit der Häufigkeit öffentlicher Bekenntnisse und Handlungen, mit der sich die Führungskraft dazu committet. Wahrscheinlich ist es der Mechanismus der Dissonanz-Reduktion, der dazu führt, dass sich die Einstellung ändert, wenn es nicht einfacher ist, das Verhalten anzupassen.
Für unsere Kunden bedeutet dies, dass sie sich überlegen sollten, wie sie ihre Führungskräfte dazu bringen, das gewünschte Verhalten selbst vorzuleben. Dies kann aus unserer Sicht zunächst durchaus im Kontext von Trainings oder Coaching-Sitzungen passieren. Häufig ist dies der beste erste Ansatz, um ein Zielverhalten wahrscheinlicher zu machen. Später werden dann diese Führungskräfte als Multiplikatoren für andere eingesetzt und übernehmen die Rolle, die neuen Einstellungen überzeugend zu vermitteln. Sicher kein leichter Weg, aber im Sinne eines nachhaltigen Veränderungsprozesses durchaus erfolgversprechend.
Theorie der sozialen Vergleichsprozesse
Der dritte Hebel, den wir hier hervorheben möchten, erschließt sich aus Festingers (1954) Theorie der sozialen Vergleichsprozesse über die Stephan Holtmeier auch schon hier im Juni 2013 geschrieben hat.
Die grundlegende Hypothese von Festinger lautet, dass Menschen das Motiv besitzen, ihre eigenen Meinungen und Fähigkeiten zu bewerten. Um dieses Ziel zu erreichen, vergleichen sie sich mit anderen Personen. Festinger begründet dieses Bedürfnis der Menschen aus der Notwendigkeit, im Zusammenleben mit anderen Menschen angemessen reagieren zu können, um Fehleinschätzungen und daraus resultierende Probleme zu vermeiden. Je unsicherer sich eine Person ist, desto stärker ist die Vergleichsmotivation.
Diese Theorie über Menschen lässt sich nutzen. Aber auch anders herum wird ein Schuh daraus. Wenn in einem Unternehmen die Führungskräfte relativ konsistent ein aus Sicht der Unternehmensführung oder der Personalabteilung sozial nicht akzeptiertes Verhalten zeigen, dann spricht dies vielleicht dafür, dass aus Sicht der Führungskräfte die relevante soziale Vergleichsgruppe es auch nicht besser/anders macht. Faktisch haben wir somit ein Henne-Ei-Problem.
Trotzdem können sich Unternehmen aus dieser Theorie geeignete Maßnahmen ableiten. Oft ist es in der Tat so, dass durchaus eine relevante Vergleichsgruppe existiert, die es „besser macht“. Allerdings ist dieses im Unternehmen nicht hinreichend transparent. Folglich müssen Maßnahmen erarbeitet werden, die den Zugang zu relevanter Vergleichsinformation verbessert. Hier bietet es sich zum Beispiel an, ein vorhandenes Führungsfeedback in aggregierter Form für eine geeignete Führungskräfteveranstaltung aufzubereiten und auf dieser Basis ein geeignetes Workshopkonzept umzusetzen. Alternativ machen unter diesem Gesichtspunkt auch flächendeckende Assessment oder Development Center zum Zwecke des Screenings von Führungskompetenzen Sinn. Es ist wie meist im Leben: Jeder Einzelfall braucht die für ihn passende Lösung.
Literatur:
McCall, M., Lombardo, M. & Morrison, A. 1988. The Lessons of Experience. Lexington, MA: Lexington Books.
Marsh, H. W. (2005). Big-fish-little-pond effect on academic self-concept. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 19, 119-127.
Gunkel, L. (2014). Eine Untersuchung zur Auswahl von Führungsnachwuchs. Wiesbaden: Springer VS.
Tice, D., M. (1992). Self-Concept Change and Self-Presentation: The Looking Glass Self Is Also a Magnifying Glass. Journal of Personality and Social Psychology, Vol. 63, 3, 435-451.
Festingerm L.(1954). A Theory of Social Comparison Processes. In: Human Relations (1954), Nr. 7, S. 117-140.
Bild: Paul Downey (CC BY 2.0)