Sind unstrukturierte Interviews zur Personalauswahl besser als gedacht?
Wer in der Personalauswahl arbeitet, der weiß: strukturierte Interviews haben eine höhere Validität als unstrukturierte. Eine kürzlich erschienene Neuauflage der ursprünglichen Metaanalyse von Schmidt und Hunter von 1998 berichtet jetzt aber neue und überraschende Ergebnisse. (Wir berichteten schon im letzten Blog-Eintrag.)
Durch ein optimiertes Verfahren zur Korrektur der Unrealiabilität im Kriterium konnte nun die Genauigkeit der Validitätenschätzung verschiedener psychologischer Auswahlverfahren verbessert werden. Dadurch hat sich gezeigt, dass beide Interviewarten tatsächlich weitgehend gleich valide sind. Ursprünglich ist man davon ausgegangen, dass das strukturierte Interview eine Validität von r=.51 und das unstrukturierte nur eine Validität r=.38 hat, also deutlich geringer. Die neue Analyse hat jedoch gezeigt, dass beide Verfahren eine relativ hohe Validität von r=.58 haben.
Die Studie konzentriert sich vor allem auf die inkrementellen Validitäten in Bezug auf den IQ. Obwohl beide Interviewarten dieselbe geschätzte „wahre“ Validität besitzen sind ihre inkrementellen Validitäten unterschiedlich. Während das unstrukturierte Interview nur 13% Mehrwert bietet, trägt das strukturierte Interview mit 18% etwas mehr zum Anstieg der Validität bei, was damit zusammenhängt, dass das unstrukturierte Interview höher mit Intelligenztests korreliert. Telefoninterviews haben zwar mit r=.46 eine etwas geringere Validität, tragen jedoch mit 9% zusätzlich zur Varianzaufklärung bei.
Wie konnten wir uns all die Jahre nur so täuschen?
Kommen wir nun also zur Einordnung dieser Ergebnisse, von denen wir glauben, dass sie im Bereich der Personalauswahl und Personaldiagnostik einiges durcheinander wirbeln werden.
Zunächst einmal gehen wir davon aus, dass die Metaanalyse von Schmidt et. al (2016) korrekte Analysen berichtet und die richtigen Schlussfolgerungen zieht. Unter dieser Annahme muss man zunächst einmal festhalten, dass die Intelligenz eines Menschen die wichtigste prognostische Größe für den beruflichen Erfolg zu sein scheint. Wer ordentlich intellektuelle Pferdestärken unter der Haube hat, der wird es auch im Job weit bringen. Persönlichkeitseigenschaften oder andere Fähigkeiten sind da weit weniger relevant.
Es gibt die Theorie, dass es ein Aspekt von Intelligenz ist, wenn Menschen in der Lage sind, die an sie gestellten Anforderungen in einer Situation korrekt zu erkennen. Im Interview bedeutet dies, dass intelligente Bewerber eher die Fragen so beantworten, wie die Interviewer dies von Ihnen erwarten. In anderen Worten: Nicht der ehrliche Bewerber bekommt den Job, sondern der Bewerber, der dem Interviewer nach dem Mund redet. Interessanterweise ist dies vielleicht auch eine zentrale Kompetenz im Tagesgeschäft. Dies könnte dann der Grund dafür sein, warum Menschen, die den Interviewer „täuschen“ können später auch im Job die erfolgreicheren sind.
Somit lassen sich die „neuen“ Ergebnisse durchaus erklären, denn die Kriterien zur Erfassung von beruflichem Erfolg unterliegen, in den der Metaanalyse zugrundeliegenden Studien, häufig demselben „Fehler“. Wenn Berufserfolg als „Höhe des Gehalts in fünf Jahren“ oder als „Anzahl der Beförderungen in den letzten 5 Jahren“ definiert ist, dann scheint es plausibel, dass der im Interview gut abschneidende Bewerber auch in diesen Erfolgsmaßen gut abschneidet. Er weiß sich eben so zu verhalten, wie dies sein Umfeld erwartet und wird dafür immer wieder „belohnt“.
Wir sind trotzdem davon überzeugt, dass sich strukturierte Interviewleitfäden auf Basis definierter Kompetenzen und mit standardisierten Auswertungssystematiken lohnen, denn erfolgreiche Unternehmen müssen mehr über ihre zukünftigen Mitarbeiter wissen, als die Wahrscheinlichkeit, dass diese Karriere machen werden. In diesem Kontext sind übrigens auch Assessment Center zu sehen, die ebenfalls die Diagnostik bestimmter Kompetenzen ermöglichen, wenngleich deren prognostische Validität in Bezug auf Berufserfolg alles andere als überzeugend ist.
Fazit
Die vorliegende Metaanalyse zeigt beeindruckend auf, wie hoch die theoretisch möglichen Korrelationen zwischen einzelnen Methoden der Personalauswahl und dem Validierungskriterium „Berufserfolg“ ausfallen können, wenn um die Unreliabilität des Kriteriums mit neuen statistischen Methoden korrigiert wird. Das ist eine gute Nachricht für die Branche.
Was die Metaanalyse von Schmidt und Kollegen aber nicht zum Ausdruck bringt, ist der effektive Beitrag der Methoden zum Gesamterfolg eines Unternehmens. Hier braucht es deutlich mehr Wissen über die Anforderungen der Zukunft, um dann gezielt nach den geforderten Kompetenzen suchen zu können. Selbst dann, wenn ein „schlauer“ Bewerber sich leichter tut, beliebige Anforderungen zu erfüllen, erklärt die allgemeine Intelligenz doch nicht alle Unterschiede zwischen Menschen. Auch darf bezweifelt werden, dass Menschen mit identischem IQ einen Job gleichermaßen gut erledigen werden. Zumal viele Unternehmen nur selten in der Lage sein werden, sich die intelligentesten Bewerber aus einem großen Pool von Bewerbern herauszusuchen.
Es gilt die wichtige Regel der Diagnostik, dass jede Methode durch weitere abgesichert werden muss. Bei aller Euphorie über hohe Korrelationsquotienten darf nämlich nicht vergessen werden, dass diese noch immer für sich genommen für die Einzelfalldiagnostik viel zu gering sind!
Autoren: Julia Bügel und Stephan Holtmeier
Quellen:
Schmidt, Frank L. and Oh, In‐Sue and Shaffer, Jonathan A., The Validity and Utility of Selection Methods in Personnel Psychology: Practical and Theoretical Implications of 100 Years of Research Findings (October 17, 2016). Fox School of Business Research Paper. Available at SSRN: https://ssrn.com/abstract=2853669
Titelbild von Matt Brown (CC BY 2.0)