Transparente Gehälter: Innovation oder Frustration?
Es gibt so etwas wie einen neuen Trend, der für die allermeisten Unternehmen wohl mehr oder weniger undenkbar ist: 100% transparente Gehälter. Einige Startups gehen diesen Weg trotzdem. Von zwei besonders experimentierfreudigen Firmen wollen wir heute berichten.
Beispiel 1: WP Media
WP Media ist ein kleines Startup mit Mitarbeitern in Europa und den USA. Die Firma entwickelt Software zur Beschleunigung von Webseiten. WP Media veröffentlicht nicht nur ganz konkrete Zahlen zur Umsatzentwicklung, sondern auch die exakte Gehaltsstruktur, das Bonussystem sowie die zugrundeliegenden Berechnungsgrößen. Die Gehälter der Angestellten sind öffentlich mit Angabe des jeweiligen Namens in diesem Google Spreadsheet einsehbar. Wow!
Beispiel 2: Buffer
Buffer bietet das zeitgesteuerte Publizieren von Social Media Inhalten. Die Firma macht monatlich zum Zeitpunkt dieses Beitrags $ 628.000 Umsatz und lässt wirklich jeden in die Bücher schauen. Auch bei Buffer sind die Gehälter kein Geheimnis. Buffer war eines der ersten Unternehmen, die Offenheit und Transparenz dermaßen konsequent umgesetzt haben und hoffen, auf diese Weise engagierte und zufriedene Mitarbeiter zu haben. Das Gehalt bei Buffer berechnet sich anhand der folgenden Formel.
Im Prinzip finden wir Transparenz toll, aber wie wirken sich insbesondere transparente Gehälter auf Stimmung, Motivation und Zufriedenheit im Team tatsächlich aus? Nur weil es in manchen Unternehmen vielleicht funktioniert, muss es ja nicht grundsätzlich eine gute Idee sein, alles offen zu legen.
Erkenntnisse der ökonomischen Psychologie
Auch auf Xing gibt es gerade ein Schwerpunktthema über transparente Gehälter: Erhöhen sie die Fairness oder den Frust? Prof. Dr. Dirk Sliwka (Universität zu Köln) fasst in diesem Rahmen einige interessante Erkenntnisse der ökonomischen Psychologie zusammen, wie sich Lohntransparenz auf die Zufriedenheit in der Belegschaft auswirkt.
- Unterdurchschnittlich Verdienende sind nach Offenlegung unzufriedener
Laut Sliwka kommen empirische Studien zu inkonsistenten Ergebnissen. Er berichtet aber ein Experiment, dass die Ökonomen Card, Mas, Moretti und Saez (2012) an der University of California durchgeführt haben. Diese Forscher haben einem Teil einer Belegschaft (zufällig ausgewählt) Zugang zu einer Website gewährt, auf der detailliert Gehaltsinformationen aller Beschäftigten veröffentlicht waren.
Sie fanden, dass jene Mitarbeiter, die weniger als der Durchschnitt verdienten, signifikant unzufriedener durch dieses Wissen wurden. Das ist nachvollziehbar, insbesondere wenn wir berücksichtigen, dass die meisten Menschen sich in vielen Bereichen eher über- als unterschätzen (siehe auch hier).
- Wer mehr verdient als die anderen, ist deswegen nicht zwingend glücklicher
Die Forscher fanden aber auch, dass die Arbeitszufriedenheit bei Beschäftigten mit einem Einkommen oberhalb des Durchschnitts nicht zunahm. Das ist schade, denn wenn Gehaltstransparenz Zufriedenheit bei der einen Hälfte kostet und zugleich bei der anderen Hälfte keine zusätzliche Zufriedenheit schafft, dann sinkt im Mittel die Arbeitszufriedenheit.
- Transparenz kann aber Mitarbeiter bewegen, einen passenderen Job zu suchen
Sliwka berichtet aber auch indirekte vorteilhafte Effekte. Er schildert in diesem Rahmen das Beispiel Norwegens, wo 2001 zum ersten mal das zu versteuernde Einkommen aller norwegischen Bürger öffentlich im Internet publiziert wurde, was über Nacht zu völliger Einkommenstransparenz führte. Die Ökonomen Rege und Solli nutzten dieses Event für ihre Forschung.
Es zeigte sich, dass die Transparenz bei unterdurchschnittlichem Verdienst zu vermehrten Jobwechseln führte. Mit dem Wechsel stieg für den Einzelnen in vielen Fällen das Gehalt. Motiviert war der Wechsel wahrscheinlich durch die neue Information und die daraus abgeleitete Schlussfolgerung, dass es vorteilhaft sein könnte, auf dem Arbeitsmarkt nach einem besseren Job zu suchen.
Sliwka weist darauf hin, dass letztlich auch die Arbeitgeber profitieren würden, wenn die Fluktuation unter den leistungsschwächeren Mitarbeitern zunimmt. Dies birgt aus unserer Sicht aber auch Risiken. Insbesondere auch deswegen, weil damit der Druck steigt, die Mitarbeiter, die gehalten werden sollen, in die oberen 50% der Gehaltszahlungen einzusortieren. In den meisten Unternehmen werden es weit mehr Mitarbeiter sein, die zu halten es (auch betriebswirtschaftlich) lohnt.
Weitergedacht…
Das Team entscheidet über das Gehalt. Einen demokratischen Ansatz beschreibt Julian Vester für sein Unternehmen Elbdudler. Dort werden Gehälter offen in eine Liste eingetragen und vor den Kollegen begründet. Julian schreibt aber auch: „Die Wunschgehälter korrigierten sich merklich nach unten. Zahlen konnten wir sie trotzdem noch nicht.“ Trotzdem: Wer in seinem Unternehmen mehr Fairness bei den Gehältern wünscht, sollte sich seinen Beitrag (+ die Kommentare) vielleicht mal durchlesen.
Transparente Gehälter führen zu Tumult und Chaos, meint hingegen Marcus Maximilian Wöhrl, Vorstand der Dormero Hotel AG. Er findet zwar transparente Gehälter toll, traut insbesondere den Deutschen aber nicht den Umgang mit dem daraus erwachsenden Neid zu. „Unsere Gesellschaft bekommt die Todsünde Neid nicht in den Griff.“ Die Befürchtung können wir zwar verstehen, aber ist das auch ein Grund es nicht zu versuchen?
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