Wissenschaft 360 Grad Feedback
Wissenschaft 360 Grad Feedback: Mit einem 360 Grad Feedback werden die Wahrnehmungen unterschiedlicher Feedbackgebergruppen (= Vorgesetzte(r), Mitarbeiter, Kollegen, Kunden, …) in Bezug auf bestimmte Verhaltensbereiche/Kompetenzen (z.B. Teamfähigkeit, Überzeugungskraft, Entscheidungsverhalten, etc.) gemessen. Diese Grundannahme setzt voraus, dass die unterschiedlichen Feedbackgebergruppen tatsächlich zu einer ähnlichen Einschätzung gelangen und keine systematische Verzerrung allein auf die Gruppenzugehörigkeit zurückführbar ist. Nur dann wäre es legitim, einen Mittelwert über alle Gruppen zu bilden und eine Art Gesamtprofil auszuweisen, das den Feedbackempfänger im Sinne einer bestmöglichen Näherung an die komplexe Realität beschreibt. Dieses Vorgehen ist die gelebte Praxis in 360 Grad Feedback-Ergebnisberichten. Wir wollen heute eine Studie berichten, die sich mit dieser Fragestellung etwas genauer befasst.
In Analogie zur Forschung zu Assessment Centern (AC) sind Zweifel an der oben geschilderten Grundannahme angebracht. Die AC-Forscher finden nämlich keine (kaum) Verhaltensdimensionen, die situationsübergreifend gültig sind. In anderen Worten: Ein AC-Teilnehmer kann durchaus z.B. in der einen Situation sehr überzeugend sein, in einer anderen ist er es überhaupt nicht. Stattdessen finden die Forscher eher „Übungs-Faktoren“, d.h. einem AC-Teilnehmer liegt eine bestimmte Situation insgesamt besser bzw. weniger und den Bewertern im Assessment Center gelingt dann die kompetenzbasierte Einschätzung nicht mehr. Im AC ist daher vom Ausweisen eines Gesamtprofils eher abzuraten, weil sich in vielen Fällen kein stabiles Bild (über die verschiedenen Situationen hinweg) finden lässt. Nun könnte die selbe Logik auch für 360 Grad Feedbacks gelten. Kunden erleben die Feedbackempfänger schließlich auch in komplett anderen Situationen, als es zum Beispiel Mitarbeiter tun.
Studie
Guenole et. al. (2011) haben sich dieser Fragestellung mit der MTMM-Technik (Multi-Trait-Multi-Method) genähert. Grundsätzlich berichten die Forscher in ihrem Artikel, dass die Quellen von 360 Grad-Beurteilungen (= Vorgesetzte(r), Mitarbeiter, Kollegen, Kunden, …) mehr Varianz aufklären, als die gemessenen Kompetenzen. Diese alarmierenden Befunde sprechen tatsächlich gegen die Bildung eines Gesamtwertes!
Die berichtete Studie basiert auf 360 Grad Feedback von insgesamt 825 Managern und untersucht zusätzlich einige Persönlichkeitseigenschaften der insgesamt 2475 Feedbackgeber. Guenole und Kollegen können auf Basis diese Datensatzes zeigen, dass die Persönlichkeit der Feedbackgeber einen stärkeren Zusammenhang zu deren 360 Grad-Bewertungen aufweist, als die Beziehung in der sie zum Feedbackempfänger stehen. Was bedeuten diese Ergebnisse also für den 360 Grad Feedback-Ergebnisbericht?
Zunächst einmal bestätigt sich, was offensichtlich ist: Ein 360 Grad Feedback sag nicht nur etwas über den Empfänger, sonder auch etwas über den Geber (nämlich dessen Persönlichkeit) aus. Zugleich könnte man aber auch argumentieren, dass die unterschiedlichen Persönlichkeiten der Feedbackgeber sich letztlich etwas herausmitteln und übrig bleibt das situationsstabile Kompetenzprofil des Feedbackempfängers.
Fazit
Somit erhält die gängige Praxis, ein Gesamtprofil im Ergebnisbericht auszuweisen, Unterstützung.
Lesen Sie hier mehr über unser 360 Grad Feedback im allgemeinen und hier über eine innovative 360 Grad Feedback – Variante, mit der wir sehr gute Erfahrungen gemacht haben.
Literatur:
Guenole N., Cockerill T., Chamorro-Premuzic T., Smillie L. (2011). Evidence for the Validity of 360 Dimensions in the Presence of Rater-Source Factors. Consulting Psychology Journal: Practice and Research. Vol. 63, No. 4, 203–218.